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Interview mit Jon Aizpurua: Wenn wir Leid verhindern können, dann sollten wir das tun

Am kommenden 5. Juni findet in der Schweiz ein Referendum zur Anwendung der genetischen Präimplantationsdiagnostik oder PGD statt. Anlässlich dieses Ereignisses, reiste Sidonia Küpfer, Redakteurin der Schaffauser Nachrichten, nach Spanien, um Dr. Jon Aizpurua, Gynäkologe spezialisiert auf künstliche Befruchtung und Leiter von IVF-Life, zu interviewen

Dr. Aizpurua, Sie arbeiten als Reproduktionsmediziner am Puls der neusten Technologien. Haben Sie keine Befürchtungen, dass die Entwicklung in eine gefährliche Richtung geht?

Jon Aizpurua: Wenn wir auf die nächsten 50 Jahre schauen, macht mir das schon etwas Angst. Man kann Menschen klonen oder sie erblich umprogrammieren. Das hat man bei Tieren schon nachgewiesen. Aber ich bin nicht die moralische Instanz, um diese Entwicklungen aufzuhalten.

Durch Ihre Arbeit stehen Sie aber schon etwas stärker im Schaufenster.

Aizpurua: Klar. Ich sehe natürlich, dass diese Entwicklungen kaum zu stoppen sind. Ob wir in Spanien oder ihr in der Schweiz neue Technologien nutzen oder nicht, ist gar nicht so relevant. Dann wird es halt in Korea, China oder den USA gemacht. In Südkorea spricht man heutzutage nicht mehr über die Rechte von Embryonen, sondern darüber, ob man die Rechte von bionischen Maschinen, deren künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz dereinst übersteigen wird, jetzt schon limitieren sollte. Der Fortschritt wird kommen, ob wir wollen oder nicht.

Das klingt dramatisch.

Aizpurua: Nicht unbedingt. Der technologische Fortschritt an sich ist unaufhaltbar. Aber wir können Regeln festlegen, wie mit ihm verantwortungsbewusst umgegangen werden soll. Das ist wie bei der Atomtechnologie – damit kann man viel Gutes, aber auch Katastrophales anrichten. Wir müssen beschreiben, wie man diese Technologie positiv einsetzt und wie man Kontrollinstanzen generieren kann.

Gibt es Dinge, bei denen Sie sagen: Das mache ich nicht.

Aizpurua: Natürlich. Einem Paar, das psychiatrisch instabil ist, werde ich zum Beispiel nicht zu einem Kind verhelfen.

Wo hat die spanische Fortpflanzungsmedizin einen Vorsprung gegenüber anderen Staaten?

Aizpurua: In allen Bereichen. Wir haben Möglichkeiten, die Samen- und Eizellen im Körper medikamentös zu verbessern und die besten zu selektieren. Im Labor haben wir viel Wissen über die Kulturen, in denen sich die Embryonen entwickeln. Die Embryonen werden videoüberwacht, und wir wissen ganz genau, ob aus einer Zelle drei werden. Das bedeutet, dass daraus nie ein gesundes Kind wird. Dann machen wir auch Tests am Embryo – die Präimplantationsdiagnostik und das Screening. Das liefert uns das Wissen, ob der Embryo genetisch fit ist. Das ist eine von drei Bedingungen, damit es zu einem gesunden Kind kommen kann.

Was braucht es noch?

Aizpurua: Er muss metabolisch fit sein, also die Kraft haben, zu wachsen. Das kann man in der Schweiz mit den aktuellen Gesetzen gar nicht wissen, weil man die Embryonen am zweiten Tag schon einsetzen muss. Wenn man aber Embryonen fünf Tage wachsen lässt, so haben nur 40 bis 60 Prozent die Kraft, sich weiterzuentwickeln. Das ist ein Naturgesetz.

Und das dritte Kriterium?

Aizpurua: Die epigenetische Kompetenz. Da wissen wir heute noch fast nichts, aber das wird sich in den nächsten Jahren ändern. Da geht es um ein metabolisch kompetentes, genetisch komplettes Embryo und um die Frage, ob es in der Lage ist, all die Stufen zu organisieren, die nötig sind, um aus einem Häufchen Zellen ein sehr komplexes menschliches Wesen zu machen. Dafür sind nicht die Gene verantwortlich, sondern Mechanismen, die regulieren, welche Gene wann eingeschaltet werden. Wüssten wir das, so hätten wir 80 Prozent des Erfolgs bei der Fortpflanzung sicher. Den Rest entscheidet die Mutter: Was macht den Unterschied aus, dass ein Topembryo bei der einen Mutter bleibt und bei der anderen nicht?

In der Schweiz befürchten Gegner des neuen Gesetzes, dass es weniger behinderte Menschen geben wird und dass die Toleranz gegenüber Behinderten abnimmt.

Aizpurua: Aber wenn das ein Argument gegen das Gesetz sein soll, dann hat man die Präventivmedizin nicht verstanden. Die beste Medizin ist nicht die, die etwas kuriert, das schon da ist. Die beste Medizin ist die, die vermeidet, dass überhaupt ein Leiden entsteht. Vor 10 Jahren wurde erstmals das Genom eines Menschen sequenziert. Das hat 3 Billionen Dollar gekostet und 13 Jahre gedauert. Heute kostet es 1000 Dollar, in 20 Jahren wird es 10 Dollar kosten.

Aber wollen Sie das alles wirklich wissen, was da drin steht?

Aizpurua: Wenn mir das hilft zu wissen, dass ich ein Risiko für Herzinfarkt habe und zum Beispiel durch Verzicht auf weisses Fett vermeide, daran zu sterben, dann schon. Und Sie auch. Aus meiner Zeit in der Onkologie kann ich Ihnen sagen: Alle klammern sich ans Leben. Und wenn wir in der Fortpflanzung Leid verhindern können, zum Beispiel, indem wir einen kranken Embryo nicht einsetzen, dann sollten wir das tun.